Martin, der Schuster
Donnerstag, 19. Februar 2009Diese wunderschöne Geschichte erzählt der russische Dichter Leo Tolstoi:
Es war einmal ein armer Schuster namens Martin, der lebte und arbeitete in einem dunklen Keller. Darin war nur ein kleines Fenster, durch das er die Menschen hin und her gehen sah. Eines Tages träumte Martin, dass ihn bald der liebe Gott besuchen werde. Sofort stand er auf und schrubbte und putzte und schmückte das ganze Haus und richtete allerlei Köstlichkeiten her, damit er seinen hohen Gast angemessen empfangen könne. Martin war ganz aufgeregt und lugte ständig durch sein kleines Kellerfenster auf die Straße, um den lieben Gott ja nicht zu übersehen.
Da sah er einen alten Straßenkehrer vorübergehen, dessen Schuhe kaputt waren. Sofort lud er ihn zu sich ein und reparierte ihm seine Schuhe. Etwas später ging eine junge Mutter mit ihrem Kind frierend über die Straße. Der Schuster bat sie, sich bei ihm aufzuwärmen und eine Suppe zu essen. Obendrein schenkte er ihr einen Mantel und Schuhe für das Kind. Schließlich sah er einen Jungen, der aus Hunger einen Apfel stahl. Kurzerhand bezahlte Martin beim Obsthändler die gestohlene Ware.
Da wurde es Abend, und der Schuster war traurig, dass der liebe Gott nicht wie versprochen gekommen war. So ging er enttäuscht zu Bett. In der Nacht hatte er wieder einen Traum, und dieselbe Stimme sprach zu ihm:“Schuster Martin, hast du mich nicht erkannt? Ich bin bei dir gewesen.“
„Wann? Wo?“, fragte Martin verduzt. Doch da sah er unter einer Laterne den alten Straßenkehrer stehen, daneben die junge Mutter mit ihrem Kind und auch den Jungen mit dem Apfel. Und mit einem Mal waren alle urplötzlich wieder verschwunden.
Anm.: Diese Geschichte habe ich aus dem Buch „Die 66 Tugenden der Sufis“ von Yan d`Albert entnommen, dass soeben erschienen ist. Der Autor war so freundlich unser Projekt in seinem Buch zu erwähnen. Diese Geschichte von Schuster Martin ist der Tugend der Gastfreundschaft gewidmet.