Die Suppe nebenan, oder: Wer teilt mit wem?
  „Ausnahmsweise“, sage ich mir und fahre hoch ins Karstadt-Restaurant; habe mich in der Zeit verschätzt und brauche jetzt dringend was zu essen.
Ich hole mir eine Suppe und setze mich an einen leeren Tisch. Zu dumm – den Löffel vergessen. Also noch mal los, zum Besteckkasten, Löffel holen; eine Serviette kann auch nicht schaden. Komme zurück an meinen Tisch – sitzt da, gegenüber von meinem Platz, ein Afrikaner, eindeutig, schwarze Hautfarbe, buntes Hemd, und löffelt seelenruhig Suppe aus meinem Teller.
Ich glaub es nicht; wie kann einer so dreist sein? Bin total entrüstet, bringe erst mal kein Wort raus, stehe da wie vom Blitz getroffen. Er schaut hoch, sieht mich abwartend, fast freundlich an – nein, ich kann wirklich nichts Unverschämtes in seinem Blick erkennen – und zeigt auf meinen Stuhl. Vor lauter Ãœberraschung setze ich mich tatsächlich.
Dann finde ich endlich meine Stimme wieder: „’tschuldigung, aber das ist meine Suppe!“ Er sieht mich wieder so freundlich an, schüttelt leicht mit dem Kopf und zieht die Schultern hoch – es ist klar, dass er mich nicht versteht. Was jetzt? Gleich ist die Suppe kalt, denke ich, und mein Magen knurrt; warum eigentlich nicht mit einem armen Schlucker den Teller teilen? Sofort fühle ich mich großzügig. Ja, das ist doch eine tolle Geste, gefalle ich mir immer besser; das sollten viel mehr Leute machen. Ich lächle ihm verschwörerisch zu, lasse den Löffel endlich in die Suppe sinken und esse. Wir bleiben stumm; ab und zu kreuzt sich unser Blick, dann lächeln wir.
Als der Teller leer ist, wischt er sich den Mund mit der dünnen Papierserviette ab, legt sie zu den Löffeln, steht auf, nimmt den Teller und verabschiedet sich mit einer leichten Verbeugung. „Höflich ist er ja“, denke ich – dafür, dass er sich keine eigene Suppe leisten kann… Ich sehe ihm nach, wie er den Teller unter dem Schild „Geschirrrückgabe“ auf das Laufband stellt und jenseits der Glastür zwischen den Jackettständern verschwindet. Einen Moment bleibe ich noch sitzen. Doch, ein bisschen stolz bin ich schon auf mich. Wer macht so was schon?
Jetzt muss ich aber auch los. Stehe auf – und sehe am Nebentisch meinen Teller Suppe stehen. Auf der Oberfläche schwimmt eine matte Schicht kalt gewordener Sahne.